Victor Meyer
Victor Meyer (8. September 1848 in Berlin – 8. August 1897 in Heidelberg) war ein vielseitiger Grundlagenforscher und Theoretiker der Chemie, der in den drei Hauptgebieten der anorganischen, organischen und physikalischen Chemie Erkenntnisse von bleibendem Wert gewonnen hat.
Meyer war der zweite Sohn eines Berliner Fabrikanten jüdischer Konfession. Er übersprang mehrere Klassen und absolvierte mit 16 Jahren das Gymnasium. Zunächst begeisterten ihn die bildenden wie auch die darstellenden Künste und so hegte er den Wunsch, Schauspieler zu werden. Ein Besuch bei seinem Bruder Richard, der in Heidelberg Chemie studierte, änderte seine beruflichen Absichten. Im Herbst 1865 nahm auch er das Studium der Chemie in Heidelberg auf, das damals mit Bunsen, Helmholtz, Kirchhoff, Erlenmeyer, Kopp das führende Zentrum der Naturwissenschaften dieser Zeit bildete. Er arbeitete in Bunsens Laboratorium zuletzt als dessen Assistent unter anderem an der Mineralwasseranalyse und wurde 1867 promoviert. Um sich auch in organischer Chemie auszubilden, ging er zurück nach Berlin in das Laboratorium von Adolf Baeyer. Auf dessen Empfehlung hin übernahm Meyer 1871 im Alter von 23 Jahren eine außerordentliche Professur für organische Chemie am Polytechnikum in Stuttgart. Bereits ein Jahr später holte ihn der einflussreiche Schweizer Schulpräsident Carl Kappler an das Polytechnikum in Zürich, die spätere ETH.
Meyer konzentrierte sich auf wenige Hauptthemen, die ihn mehrere Jahrzehnte lang beschäftigten, es waren dies vor allem die Nitroparaffine, Verfahren zur Bestimmung des Molekulargewichts sowie die Erforschung der Thiophengruppe. Durch das enge Verbinden von experimenteller Forschung mit theoretischen Fragen konnte er die räumliche Struktur und die Polarität von chemischen Verbindungen begründen. Der Begriff der Stereochemie wurde 1888 von Meyer definiert und geprägt, ebenso erarbeitete er genauere Definitionen von Dipol und Desmotropie. Seine langjährigen Untersuchungen zur Molekulargewichtsbestimmung präzisieren den Molekülbegriff und die pyrochemischen Methoden waren für lange Zeit das genaueste Verfahren zur Bestimmung der Atomgewichte. „Er war ein ausgezeichneter und anregender Vortragender und akademischer Lehrer, in Forschung und Lehre ein hervorragender Experimentator, dem die vieljährige Lehrtätigkeit große Freude bereitete und der sich bemühte, neue Ergebnisse der Chemie in popularisierender Form weiten Kreisen verständlich zu machen.“ (Engel 1994)
Nach Heidelberg kehrte er auf Wunsch von Bunsen 1889 zurück und erweiterte daraufhin das Institut mit einer neuen Abteilung für organische Chemie. In den 1890er-Jahren setzte er mit seinen Kollegen durch, dass anstelle von schriftlichen und mündlichen Staatsexamen nur noch Dissertationen in Verbindung mit einem wissenschaftlichen Experiment als Abschlussprüfung anerkannt werden sollen.
Seine Liebe gehörte nicht nur der Forschung und Lehre, auch seine musischen Interessen pflegte er weiterhin. So gehörte er in Zürich zum Kreis des Schriftstellers Gottfried Keller und seine Frau unterhielt einen Salon für Kollegen, Schriftsteller und Künstler. Wegen andauernder Überarbeitung litt Meyer an zunehmendem Schlafmangel, hinzu kamen neuralgische Schmerzen. Die Dosierung der Medikamente wurde immer höher und aus Furcht vor den Nebenwirkungen und vor der Zunahme der Schmerzen setzte Meyer im Alter von 48 Jahren mit Blausäure seinem Leben ein Ende.
Grabstelle: Litera N, Hauptweg zum Krematorium (links)
Literatur
Michael Engel: Meyer, Victor, in: Neue Deutsche Biographie 17 (1994), S. 313-317, Online-Datei.
Paul Jacobson: Meyer, Victor, in: Allgemeine Deutsche Biographie 55 (1910), S. 833-841, Online-Datei.